Wer teilt, hat mehr – Share Economy im Tourismus (1)

Tauschen und Teilen erlebt auch im Urlaub einen Aufschwung. Der Tourismus kann von dem Bedürfnis nach mehr persönlichem Kontakt profitieren – mithilfe von Apps, Kooperationen und dem Erlebnis der Privatsphäre.
Text: Florian Wörgötter

Die Menschen teilen nicht erst, seit es Facebook gibt. Doch noch nie waren sie so großzügig wie heute: Sie organisieren Beifahrer (mitfahrgelegenheit.at), besorgen ihre Einkäufe mit dem Leihauto (carsharing.at), mieten Schreibtische in Büros (needspace.com), streamen Musik über Clouds (spotify.com) oder kochen mit Fremden gemeinsame Abendessen (cookening.com). Wer dringend eine Toilette sucht, bekommt sogar Zutritt zu fremden Badezimmern (airpnp.co). Vorausgesetzt, man ist ein registriertes Mitglied auf einer dieser Sharing-Plattformen.

Zugang statt Eigentum

Das Geben ist das neue Nehmen, das Teilen das neue Haben – so sehen das zumindest die Anhänger der Share economy, eines Trends, der auf kollaborativem Konsum basiert und von sozialen Medien und smarten Technologien beflügelt worden ist. Diese Menschen teilen Ressourcen wie Zeit, Raum, Wissen, essen, Können, Geld – und vor allem: Vertrauen. Sie verwenden Waren weiter, anstatt sie wegzuwerfen. Sie nutzen Eigentum gemeinsam anstatt alleine. Sie bezahlen den Nutzen eines Gutes auf Zeit, ohne es zu kaufen. „Nicht mehr der Besitz zählt, sondern der Zugriff darauf“, so beschrieb der Vordenker Jeremy Rifkin den Trend schon im Jahr 2000 in seinem Buch „Access“. Für manche aber ist dieses neue Tauschen und Teilen nichts mehr als ein alter Hut. Was ist nun wirklich neu an der Share economy? „Neu sind das Ausmaß und die Menge des Teilens die digitalen Kommunikationsformen im Internet und die neuen Formen der Gemeinschaft, die daraus entstehen“, erklärt Anja Kirig vom Zukunftsinstitut Deutschland. „Neu ist auch, dass wir unser Konsumdenken verändern, zum Teil aus nachhaltigen Motiven, zum Teil aus finanziellen.“

Weniger ist mehr

„Wer teilt, greift auf eine Menge zu, die er niemals besitzen könnte“, erklärt Dietmar Dahmen. Der Marketingexperte berät seit zwanzig Jahren Unternehmen, wie sie ihr Branding zukunftstauglich machen. Sharing bedeute nicht, weniger zu haben. „Wenn wir ein Auto teilen, haben wir davon nicht die Hälfte, sondern wir haben das ganze Auto, aber eben nur, solange wir es benötigen.“ Entscheidend für den Erfolg des Tauschens im Internet seien drei Dinge: erstens die Kontrolle durch die Nutzer, die ihre Tauscherfahrungen in Schulnoten oder Kommentaren bewerten – mit einem Blick wird ersichtlich, wie zuverlässig ein Teilnehmer ist; zweitens eine Versicherung, die im Schadensfall für die finanzielle Vergütung aufkommt; drittens die digitale Transparenz, genau zu wissen, wo in unmittelbarer Nähe das nächste gesuchte Gut zu finden ist. Laut Dahmen hat die Share economy der Bedürfnispyramide eine neue Spitze aufgesetzt. Ganz oben thronte bislang das Grundbedürfnis der Selbstverwirklichung, das von fehlendem Besitz eingeschränkt wurde. „Share economy verhilft Menschen dazu, sich selbst zu verwirklichen.“ Das solle auch das Ziel des Tourismus sein: dem Gast zu helfen, sich selbst zu verwirklichen.

Live Like A Local

Nüchtern betrachtet, war der Tourismus stets eine Share economy. Gemeinschaftlicher Konsum am Hauptplatz oder im Hotel macht für viele Gäste erst das Reiseerlebnis aus. Auch der Verleih von Ski oder Booten ist nicht neu. Und schon gar nicht, sein Privatzimmer zu vermieten. Vor allem in der Stadt teilen Bewohner Kultur und Infrastruktur mit den Gästen, meint Norbert Kettner, Direktor von WienTourismus. er beobachtet einen wachsenden Einfluss der internetbasierten Share economy zum einen auf die Mobilität, was die steigende Nutzung des Car- und Bikesharings belegt, zum anderen auf die Beherbergung. „Der globale Trend des Wohnens auf Zeit, wie ihn Airbnb und Co anbieten, wird immer stärker. Das Motto lautet: ,Live Like A Local‘ – und zwar in jeder Beziehung.“ Immer mehr Touristen übernachten nicht mehr im Hotel, sondern bei Privaten, die ihre Couch, ein Zimmer, die ganze Wohnung oder ihr Haus im Internet anbieten. Onlineplattformen wie Couchsurfing oder Hospitality Club stellten einst noch den interkulturellen Erfahrungsaustausch in den Vordergrund und untersagten das kommerzielle Vermieten. Airbnb entwickelte daraus 2007 ein Geschäftsmodell und kassiert seitdem Millionen an Provision pro abgeschlossener Buchung. Wimdu und 9flats bieten ein ähnliches Service an. Die Hotellerie hatte schon immer ihre Schwierigkeiten mit dem rechtlichen Graubereich der Privatvermietung. Seit Airbnb ist diese aber zur ernsthaften Konkurrenz geworden. „Der Trend ist interessant, weil Gäste über diese Angebote anreisen, die sonst nicht gekommen wären. Tourismus kann in Gegenden und Stadtteilen stattfinden, wo sonst Gäste nicht hinfinden“, beschreibt Maria Wottawa die Vorteile dieses Trends. Sie leitet den Bereich Themenmanagement/Regionen der Österreichischen Hoteliervereinigung – und betont mit Nachdruck: „Alle Anbieter müssen nach den gleichen Regeln spielen.“ Ins selbe Horn bläst Kettner: „Wir können einen sozialen Trend nicht ignorieren, aber wir können dafür sorgen, dass alles transparent abläuft. Die Spielregeln festzusetzen ist Aufgabe der Politik.“ es fehle an Rahmenbedingungen, die einen fairen Wettbewerb sicherstellen. Kurz: gleiche Auflagen, gleiche Vorschriften, gleiche Abgaben für alle, die eine ähnliche Leistung anbieten. Dennoch bringe es wenig, über gesellschaftliche Entwicklungen zu jammern, meint Kettner. „Hoteliers müssen sich neuen Trends schneller anpassen und proaktiv mit ihnen umgehen.“

Geteiltes Leid, halbes Leid

Wer als Touristiker von der Share economy und der Onlineprivatvermietung lernen möchte, muss verstehen, was die Menschen dazu bewegt, ein bereits bewohntes Zimmer den Servicestandards eines Hotels vorzuziehen. „Die Gäste suchen Lokalkolorit und den Anschluss zu den einheimischen. Sie wollen maßgeschneiderte Insidertipps und jenseits des Mainstreams reisen“, analysiert Wottawa die Wünsche der Privatmieter. Klassische Beherbergungsbetriebe nehmen sie als unübersichtlich oder unpersönlich war. Vermutlich erhoffen sie sich auch einen günstigeren Preis. „Manche möchten einfach hip und zeitgeistig sein.“ Auch Kirig sieht die Lösung für den Tourismus darin, die Sehnsüchte hinter dem Trend aufzugreifen: den Wunsch nach dem Privaten und Persönlichen, dem Individuellen und dem Authentischen, dem Vertrauen und dem Leben der Menschen vor Ort. „Couchsurfer werfen einen voyeuristischen Blick in eine alternative Lebenswelt, was für sie wohl das Spannendste am Konzept ist“, beschreibt Kirig den Reiz von Airbnb und Co. Hoteliers müssten ihren Gästen über die Atmosphäre das Gefühl geben, dass sie nicht in einer austauschbaren Pension wohnen. Besonders die Mitarbeiter könnten das Gefühl von Heimat auf Zeit vermitteln. Kirig verweist auf ein Konzept der Indigo-Hotels, die in ihren Lobbys interaktive Touchscreens aufstellen. Mitarbeiter empfehlen auf diesen Plattformen ihre Lieblingsplätze in der Region. „Wenn die Menschen gerne an einem Ort wohnen, strahlt das auch auf die Touristen aus“, ist sie überzeugt.

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